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Verteidigungspolitische ambitionen österreichs in der gsvp

THEMEN


Die verteidigungspolitische Ambition Österreichs in der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU


Österreichs Ambition

Die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der Europäischen Union (EU) ist das wesentliche Instrument der EU zur Bewältigung von Sicherheitsbedrohungen und stellt damit den zentralen Handlungsrahmen der österreichischen Sicherheitspolitik dar. Schließlich hat sich Österreich anlässlich des Beitritts zur EU im Jahr 1995 in einer „Gemeinsamen Erklärung (Nr.1) zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP)“ dazu bekannt, sich in vollem Umfang und aktiv an der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, so wie sie im Vertrag über die Europäische Union definiert ist, zu beteiligen.

Im Bereich der GASP/GSVP wird mit Einstimmigkeit entschieden. Österreich hat folglich die Einrichtung sämtlicher genannter EU-Verteidigungsinitiativen mitbeschlossen.

Am 07. Dezember 2021 wurde die Teilnahme Österreichs an der Ständig Strukturierten Zusammenarbeit (Permanent Structured Cooperation; PESCO) mittels Zirkulationsbeschluss im Ministerrat beschlossen. Bis auf Malta nehmen alle Unionsstaaten an PESCO teil. Österreich beteiligt sich im Rahmen von Projekten und Initiativen sowie in Gestalt der Erfüllung der 20 weitergehenden Verpflichtungen. Im Rahmen der PESCO-Projekte (Österreich beteiligt sich derzeit an 14 von 68) soll die Schließung bestehender Fähigkeitslücken und eine Stärkung der Verfügbarkeit, Interoperabilität, Flexibilität und Verlegungsfähigkeit von Truppen erreicht werden. Die PESCO-Projekte müssen entsprechend den Prioritäten für die Fähigkeitsentwicklung der EU (Capability Development Plan; CDP) und der Koordinierten Jährlichen Überprüfung der Verteidigung (Coordinated Annual Review on Defence; CARD) einen deutlichen „europäischen Mehrwert“ für den Fähigkeits- und operativen Bedarf der Union bieten. Die Projekte sind auch mit dem Europäischen Verteidigungsfonds (European Defence Fund; EDF) eng verbunden.

Um mögliche Unvereinbarkeiten der Neutralität mit der GASP bzw. GSVP zu vermeiden, hat Österreich überdies den Artikel 23 ins Bundesverfassungsgesetz aufgenommen. Mit dem Artikel 23j B-VG wurde eine eigene verfassungsrechtliche Grundlage geschaffen, die dem Neutralitätsgesetz in Bezug auf die GASP/GSVP derogiert, es also überlagert. Österreich kann aus diesem Grund an polizeilichen und militärischen Aktivitäten der EU sowie an Wirtschaftssanktionen mitwirken.

​​​​​​​Der Russische Angriffskrieg gegen die Ukraine führt vor Augen, dass die GSVP dringend weiterentwickelt werden muss. Er fügt sich in eine generell beunruhigende und komplexe Sicherheitssituation ein, die von einer „Rückkehr zur Machtpolitik“ geprägt ist. Vor diesem Hintergrund muss die EU ihre strategische Autonomie rasch ausbauen, um sich in einem zunehmend konfrontativen, multipolaren geopolitischen Umfeld gegenüber anderen Großmächten behaupten zu können.

​​​​​​​Militärische Unterstützung für die ukrainischen Streitkräfte seitens der EU erfolgt hauptsächlich im Rahmen der Europäischen Friedensfazilität (European Peace Facility; EPF/EFF). Die EPF wurde im März 2021 eingerichtet und ist ein außerbudgetäres Instrument, wird also von den Unionsstaaten direkt und nicht aus dem EU-Budget finanziert. Die EPF wurde mit dem Ziel eingerichtet, den Frieden zu erhalten, Konflikte zu vermeiden und die internationale Sicherheit zu stärken. Sie besteht aus 2 Säulen: (1) Gemeinsame Kosten für militärische EU-Missionen und -Operationen (Operations Pillar); früherer Athena-Mechanismus), sowie (2) Unterstützungsmaßnahmen (Assistance Measures Pillar), die im Rahmen von militärischen GSVP-Einsätzen stattfinden oder Partnernationen beim Aufbau von militärischen Kapazitäten assistieren.
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​​​​​​​Ein wesentlicher Schritt in Richtung eines substantiellen Ausbaus der GSVP sowie einer Stärkung der Verteidigungsfähigkeit der Union wurde mit dem Strategischen Kompass, indossiert durch die EU-27 Staats- und Regierungschefs am 25. März 2022 und folglich für Österreich bindend, gesetzt. Der Strategische Kompass stellt einen ehrgeizigen Aktionsplan für die Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU bis 2030 dar.

​​​​​​​Im Bereich der Verteidigungsindustrie beschleunigt die Europäische Kommission den Integrationsprozess im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik mit EU-Verordnungen (Gesetzen). Das Gesetz zur Unterstützung der Munitionsproduktion (ASAP) soll sicherstellen, dass die EU (Summe der EU-Staaten) ihre Produktionskapazitäten steigern kann. Ziel dieser Verordnung ist es, die Reaktionsfähigkeit und Fähigkeit der Verteidigungsindustrie der Union zu stärken, die rechtzeitige Versorgung Europas mit Munition und Raketen sicherzustellen.

​​​​​​​Mit einer weiteren sich in Bearbeitung befindlichen EU-Verordnung zur Schaffung des Instruments zur Stärkung der europäischen Verteidigungsindustrie durch gemeinsame Beschaffung (EDIRPA) wird die militärische Interoperabilität zwischen den EU-Staaten verbessert. Darüber hinaus wird dieses Gesetz die Wettbewerbsfähigkeit und Effizienz der europäischen verteidigungstechnologischen und -industriellen Basis steigern. Die gemeinsame Auftragsvergabe durch die EU-Staaten ist ein wichtiger Schritt vorwärts in Richtung eines stärker integrierten europäischen Verteidigungsmarkts.

Weitere EU-Verordnungen und Schritte werden bald folgen, um die Verteidigungsfähigkeit und Sicherheit der EU weiter zu stärken und auch künftig gewährleisten zu können.
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Im EU-Vergleich nimmt Österreich überdurchschnittlich stark an militärischen EU-Missionen und Operationen vor allem in den für uns besonders relevanten Regionen am Westbalkan und in Afrika teil.

 

Rechtliche Grundlage

Artikel 23j Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) sieht die Teilnahme an der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der Europäischen Union (EU) und damit auch an der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der EU, die ein Bestandteil der GASP ist, vor. Mit dem Artikel 23j B-VG wurde eine eigene verfassungsrechtliche Grundlage geschaffen, die dem Neutralitätsgesetz in Bezug auf die GASP/GSVP derogiert, es also überlagert.
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Solidarität, Loyalität und Beistand in der EU

Österreich hat sich (wie auch alle anderen Unionsstaaten) dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit und der aktiven Unterstützung der GASP/GSVP im Geiste der Loyalität sowie gegenseitigen Solidarität gemäß Artikel 4 (3) und Artikel 24 (3) des Vertrages über die Europäische Union (EUV) verpflichtet.​​​​​​​

Artikel 4 EUV​​​​​
(3) Nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit achten und unterstützen sich die Union und die Mitgliedstaaten gegenseitig bei der Erfüllung der Aufgaben, die sich aus den Verträgen ergeben.

​​​​​​​Artikel 24 EUV 
(3) Die Mitgliedstaaten unterstützen die Außen- und Sicherheitspolitik der Union aktiv und vorbehaltlos im Geiste der Loyalität und der gegenseitigen Solidarität und achten das Handeln der Union in diesem Bereich. Die Mitgliedstaaten arbeiten zusammen, um ihre gegenseitige politische Solidarität zu stärken und weiterzuentwickeln. Sie enthalten sich jeder Handlung, die den Interessen der Union zuwiderläuft oder ihrer Wirksamkeit als kohärente Kraft in den internationalen Beziehungen schaden könnte. Der Rat und der Hohe Vertreter tragen für die Einhaltung dieser Grundsätze Sorge.

​​​​​​​In diesem Zusammenhang darf auch auf Artikel 42 (7) EUV (Beistandsklausel) verwiesen werden.

​​​​​​​Artikel 42 EUV (Beistandsklausel) 
(7) Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats schulden die anderen Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung, im Einklang mit Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen. Dies lässt den besonderen Charakter der Sicherheitsund Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten unberührt.

​​​​​​​Die Verpflichtungen und die Zusammenarbeit in diesem Bereich bleiben im Einklang mit den im​ Rahmen der Nordatlantikvertrags-Organisation eingegangenen Verpflichtungen, die für die ihr angehörenden Staaten weiterhin das Fundament ihrer kollektiven Verteidigung und das Instrument für deren Verwirklichung ist.

Die Beistandsklausel verpflichtet die Unionsstaaten, im Falle des bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Unionsstaates, zur Hilfe- und Unterstützungsleistung und ist damit ähnlich ausgestaltet wie Artikel 5 des Nordatlantikvertrages der NATO. Artikel 42 (7) EUV garantiert Österreich und seiner Bevölkerung im Falle eines bewaffneten Angriffs Schutz durch die anderen Unionsstaaten. Artikel 42 (7) Satz 2 wird als "Irische Klausel" bezeichnet und besagt, dass die ggstdl. Bestimmung den besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Unionsstaaten (wie Österreich) unberührt lässt. Im Falle der Aktivierung der Beistandsklausel durch einen anderen Unionsstaat hat sich Österreich - nach der Rechtsauffassung des Bundeskanzleramtes/Verfassungsdienst - auf Grund des Neutralitäts-BVG jedenfalls auf die „irische Klausel“ zu berufen und darf keine militärische Unterstützung an den angegriffenen EU-Staat leisten.

​​​​​​​Im Zusammenhang mit der Beistandsklausel darf auch auf die Solidaritätsklausel hingewiesen werden, die sich in Artikel 222 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) findet, und die Unionsstaaten im Falle von Terroranschlägen und Naturkatastrophen zur gegenseitigen Unterstützung verpflichtet.​​​​​​​

​​​​​​​Artikel 222 AEUV (Solidaritätsklausel)
(1) Die Union und ihre Mitgliedstaaten handeln gemeinsam im Geiste der Solidarität, wenn ein Mitgliedstaat von einem Terroranschlag, einer Naturkatastrophe oder einer vom Menschen verursachten Katastrophe betroffen ist. Die Union mobilisiert alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel, einschließlich der ihr von den Mitgliedstaaten bereitgestellten militärischen Mittel, um
a) — terroristische Bedrohungen im Hoheitsgebiet von Mitgliedstaaten abzuwenden;
​​​​​​​— die demokratischen Institutionen und die Zivilbevölkerung vor etwaigen Terroranschlägen zu schützen;
​​​​​​​— im Falle eines Terroranschlags einen Mitgliedstaat auf Ersuchen seiner politischen Organe innerhalb seines Hoheitsgebiets zu unterstützen;
b) im Falle einer Naturkatastrophe oder einer vom Menschen verursachten Katastrophe einen Mitgliedstaat auf Ersuchen seiner politischen Organe innerhalb seines Hoheitsgebiets zu unterstützen.
(2) Ist ein Mitgliedstaat von einem Terroranschlag, einer Naturkatastrophe oder einer vom Menschen verursachten Katastrophe betroffen, so leisten die anderen Mitgliedstaaten ihm auf Ersuchen seiner politischen Organe Unterstützung. Zu diesem Zweck sprechen die Mitgliedstaaten sich im Rat ab.